Das Klima verändert sich nicht graduell

Der Klimawandel verläuft nicht linear. Ab einer bestimmten Erwärmung kommen sogenannte Kipppunkte ins Spiel, und dann wird es richtig problematisch für das System Erde. Wo stehen wir kurz vor einem Kipppunkt?

Die Erderwärmung hat bereits jetzt spürbare Folgen für uns. Manche denken, dass man sich halt einfach auf die kontinuierlichen Veränderungen einstellen muss und dass es dafür schon ausreichend Zeit geben wird, weil die Risiken graduell und linear wachsen. Ab einer bestimmten Erwärmung kommen aber sogenannte Kipppunkte ins Spiel, und dann wird es richtig problematisch.

Kippelemente und Kipppunkte

Eine volle Tasse am Tischrand kann bis zu einem bestimmten Punkt über den Rand geschoben werden, ohne dass sie runterfällt. Ist der Punkt überschritten, fällt sie runter und die Tasse ist kaputt, die Flüssigkeit verteilt sich zwischen den Scherben auf dem Boden. Auf den Klimawandel übertragen ist die Tasse ein Kippelement, der Punkt, ab dem sie fällt, ist der Kipppunkt. Ab dem Kipppunkt geht alles sehr schnell, das Kippelement verändert sich fundamental – beim Beispiel Tasse wird das deutlich: Die Tasse ist nicht mehr vorhanden und kann ihre Funktion nicht mehr ausüben, sie kann die Flüssigkeit nicht mehr halten und ich kann nicht mehr aus ihr trinken. Übertragen auf das Klimasystem sind Kippelemente Teile des Klimasystems, die einen Kipppunkt erreichen können und sich dann fundamental ändern. In der Klimaforschung werden wahrscheinliche Kipppunkte durch Überschreiten einer bestimmten globalen Erwärmung gegenüber dem vorindustriellen Wert definiert.

Kippelemente beim Klima

Klima-Kippelemente sind Bestandteile des Erdsystems, die anfällig für Kipppunkte sind. Ab einem bestimmten Temperatur-Schwellenwert reicht eine kleine zusätzliche Störung, dann kippen sie, sie werden in einen neuen Zustand versetzt. Der Übergang nach Erreichen des Kipppunktes kann dabei abrupt sein – wie bei der Tasse – oder auch über einen gewissen Zeitraum erfolgen, er ist aber nicht mehr rückgängig zu machen.

Nach aktuellem Forschungsstand gibt es 9 Kern-Kippelemente, die relevant zum Funktionieren des Erdsystems beitragen. Außerdem gibt es 7 regionale Kippelemente, die relevant zum menschlichen Wohlergehen beitragen. Es werden vier Temperaturbereiche unterschieden, ab denen ein Kippen wahrscheinlich stattfindet.

Wichtige Kippelemente stehen kurz vor dem Kipppunkt

Bei einer globalen Erwärmung von 1,5 bis 2 Grad sind bereits drei Kern-Kippelemente betroffen: Der Verlust von Grönlands Eisschild, der Kollaps der Atlantischen Umwälzströmung, sowie der Verlust des Westantarktischen Eisschildes.

Kollaps der Atlantischen Umwälzströmung

Das globale Meeresströmungssystem hat einen großen Einfluss auf das Erdklima. Temperatur und Salzgehalt des Meerwassers treiben das System der globalen Ozeanströmungen an. Doch die Atlantische Umwälzströmung könnte schon bald versiegen, mit erheblichen Folgen. Denn diese Umwälzbewegung hält Europa warm.

Die Atlantische Umwälzströmung beruht auf großen Strömungsbewegungen im Atlantik. Warmes und salzhaltiges Wasser, das vom Äquator in nördliche Breiten gelangt, kühlt im Nordatlantik an der Oberfläche ab, wird schwerer und sinkt in die Tiefe. Diesen Prozess nennt man Konvektion. In der Tiefe strömt das Wasser zurück Richtung Äquator und zieht neue Wassermassen nach.
Durch die Gletscherschmelze gerät allerdings zu viel Süßwasser in das System. Das Frischwasser verdünnt das Meerwasser an der Oberfläche und hindert es am Absinken. Dadurch wird das Strömungssystem bereits jetzt geschwächt.


Etliche Klima-Modelle zeigen den drohenden Kollaps der Strömung als Folge globaler Erwärmung. Als Schwellwert für den Kipppunkt nimmt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hier zum Beispiel bereits 1,8 Grad Erderwärmung an. Bei anhaltenden Treibhausgasemissionen könnte die Strömung im schlimmsten Fall sogar jederzeit ab 2025 zusammenbrechen. Wahrscheinlicher ist ein Überschreiten des Kipppunktes in etwa 30 Jahren.


Die Folgen wären heftigere Stürme in Europa. Trotz globaler Erwärmung wird sich Nordwesteuropa deutlich abkühlen. Der Meeresspiegel im Nordatlantik würde bis zu 1 Meter zusätzlich ansteigen. Die tropischen Niederschlagsgürtel würden sich nach Süden verschieben. Zusätzlich würde der Ozean deutlich weniger von dem fossilen Kohlendioxid aufnehmen. Bislang nimmt er 25 Prozent unserer CO2-Emissionen auf.

Verlust von Grönlands Eisschild

Der mehr als 3000 Meter dicke Eispanzer Grönlands verliert an Masse. Dadurch wandert die Oberfläche immer weiter nach unten, in wärmere Luftschichten. Ab dem Kipppunkt ist das Eis verloren – es kommt auch ohne weitere Erwärmung zum Totalverlust. Der Meeresspiegel droht dadurch global 7 Meter anzusteigen. Hamburg zum Beispiel stünde dann komplett unter Wasser. Die meisten Küstenstädte müssten in Zukunft aufgegeben werden.

Bis das Eis nach dem Kipppunkt komplett geschmolzen ist, dauert es zwar schätzungsweise rund 1000 Jahre. Doch schon in den nächsten 20 Jahren droht das System zu kippen und neueste Studien sagen, dass für einige Teile Grönlands der Kipppunkt bereits erreicht sei. Das bedeutet, selbst wenn ab sofort keine Emissionen mehr ausgestoßen würden, würde das tauende Grönlandeis den Meeresspiegel um mindestens 27 Zentimeter anheben.

Verlust des Westantarktisches Eisschildes

Das Meer-Eis der Arktis ist typischerweise nur einige Zentimeter dick. Es reflektiert Sonnenlicht und damit viel Energie in den Weltraum. Doch die von Meereis bedeckte Fläche geht zurück. Und während früher die Eisflächen über mehrere Jahre dominierten, müssen sie sich jetzt jährlich neu bilden. Entsprechend sind sie dünner und schmelzen im Sommer leichter. Es bildet sich eine Rückkopplung, denn eisfreies Meer kann mehr Sonnenenergie aufnehmen und erwärmt sich schneller. Die Folge sind 3 Meter Meeresspiegelanstieg im Lauf der kommenden Jahrhunderte.
In der Westantarktis droht zuerst der komplette Verlust des Meer-Eises. Die Ost-Antarktis ist noch länger nicht von einem Kipppunkt bedroht.

Kritische Grenzen sind fast erreicht

Die globale Erderwärmung beträgt inzwischen bereits 1,3 Grad. Die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse sprechen für dringende und konsequente Klimaschutzmaßnahmen. Darum haben sich alle UN-Mitgliedsstaaten im Pariser Klimaabkommen darauf geeinigt, die globale Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu beschränken. Das wird allerdings nur gelingen, wenn Treibhausemissionen in den nächsten 7 Jahren global halbiert werden.

Lesen Sie hier weitere Beiträge zu dem Fokusthema Erlebbarkeit Klimawandel.

Quellen:

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